Hotel Belgrad

Andrea Štaka, Schweiz, 1998o

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Der Schulabschlussfilm von Andrea Štaka (Mare): Ein Paar verbringt eine Nacht in einem Hotelzimmer in Belgrad. Aus kurzen Momentaufnahmen schält sich sein Dilemma heraus: Wie soll es weiter gehen mit einer jungen Frau aus Kroatien, die in der Schweiz aufgewachsen ist, und einem jungen Mann aus Sarajewo, der sich dem Kriegsdienst entzogen hat?

Die erste veröffentlichte Talentprobe der damals 25jährigen schweizerisch-kroatischen Regisseurin Andrea Štaka, die mit Das Fräulein neun Jahre später den Goldenen Leoparden von Locarno gewann und kürzlich die Midlife-Frauenstudie Mare vorgelegt hat. Sie nimmt vorweg, was Štakas Kino bis heute ausmacht: die Risikofreude, mit sie lineare Geschichten aufbricht, das Gespür für Stimmungen, Atmosphäre und Zwischentöne, die sie aus ihren Momentaufnahmen herausholt, schliesslich die Montage der Bilder mit frei assozierten Tönen und minimalistischer Musik zu einem stimmungsstarken Mosaik, dessen Aussage zwischen den Zeilen bleibt.

Andreas Furler

Hotel Belgrad von Andrea Staka gelingt es dank gutem Drehbuch und überzeugend geführten Darstellern, den Zwiespalt der Situation eines jungen Mannes aus Sarajewo und von dessen in die Schweiz emigrierter Freundin nachvollziehbar werden zu lassen.

Christoph Egger

Am überzeugendsten [unter der Abschlussfilmen der Schule für Gestaltung, Anm.d.Red.] freilich war Hotel Belgrad, ein atmosphärisch dichter Film mit einer schlichten Handlung. Ein Paar hat sich in ein Belgrader Hotelzimmer eingeschlossen, redet zusammen, liebt sich immer wieder aufs neue - und bangt der bevorstehenden Trennung entgegen. Am Ende reist die Frau ohne ihren Geliebten in die Schweiz zurück. Mühelos gelingt es Andrea Staka, augenblicklich Interesse für das Paar und seine Geschichte zu wecken, was nicht nur mit den stimmigen Dialogen und einer subtilen Schauspielführung zu tun haben dürfte. Wahrscheinlich ist auch zu spüren, dass die Autorin - wie ihre weibliche Protagonistin Doppelbürgerin aus der Schweiz und aus Jugoslawien - damit ein Stück ihrer persönlichen Geschichte preisgibt. Zu ihrem Thema, der (zweifachen) kulturellen Identität, die mit dem Scheitern der Liebesgeschichte eng zusammenhängt, findet sie jedenfalls ganz unangestrengt.

Redaktion

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Swiss Films, 12.05.2020
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Tages-Anzeiger, 13.09.2006
«Welche Schweiz wollen wir?»

Die Filmemacherin Andrea Staka tritt gegen das neue Asylgesetz an, weil ihr die Geisteshaltung dahinter nicht passt: Sie will keine Schweiz, die sich abschottet und Flüchtlinge wegweist.

Von Nina Scheu, Gaby Szöllösy

Frau Staka, Sie engagieren sich mit über 700 Kulturschaffenden gegen das Asylgesetz. Warum?

Ich glaube, bei dieser Vorlage geht es letztlich um eine Grundsatzfrage: Welche Schweiz wollen wir? Wollen wir ein Land, das sich der Welt gegenüber öffnet, oder eines, das sich verschliesst? Wir leben nun mal in einer Welt, in der sich die Menschen viel mehr bewegen als früher. Die einen müssen gehen, weil sie vertrieben werden, die anderen wollen gehen, weil es ihnen nicht gefällt, wo sie sind, und die Dritten gehen, weil sie zu Hause in Existenznot sind. Es gehört zu unserer Zeit, dass sich die Kulturen mischen. Für mich, die ich mit zwei Kulturen aufgewachsen bin, heute in New York lebe und Freunde auf der ganzen Welt habe, ist das selbstverständlich.

Auch in Ihren Filmen ging es bis jetzt immer um Migration. Und doch erleben die Protagonistinnen keine Ausgrenzung seitens der Behörden oder der Bevölkerung. Warum klammern Sie diese Realitäten aus?

Ich zeige eine andere Realität. In meinen Filmen konzentriere ich mich bewusst auf innere Welten. Ich zeige die Entwurzelung von Menschen und die Verwurzelung an einem neuen Ort. Dabei will ich meinen Protagonistinnen ein Gesicht geben: Sie dürfen auch mal einfach so unglücklich sein und nicht nur, weil sie fortgegangen sind.

Unseres Wissens ist es Ihre erste öffentliche politische Aktivität. Werden Sie nun politisch?

Meinen ersten Film über Jugoslawien habe ich zu einer Zeit gemacht, in der man diese Leute noch als primitive Menschen ansah. Filme mit einem anderen Blickwinkel zu schaffen, kann auch ein politischer Akt sein.

Doch jetzt nehmen Sie öffentlich Stellung gegen eine politische Vorlage: Sie sind quasi ein Glied im Abstimmungskampf. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Ich finde es wichtig, dass Leute, die eine Möglichkeit dazu haben, öffentlich Stellung beziehen. Es ist ja nicht so, dass ich vorher keine Meinung gehabt hätte. In den 90er-Jahren bin ich fürs Kanzlei auf die Strasse gegangen. Später habe ich mich für die Filmkultur eingesetzt, und während des Irak-Kriegs demonstrierte ich in New York. Nur: Bevor ich den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen habe, interessierte sich niemand für meine Ansichten.

Lange schien den Kulturschaffenden ihre Individualität wichtiger zu sein, als mit geeinter Stimme aufzutreten. Plötzlich gilt es wieder als «chic», auch als Gruppe politisch Stellung zu beziehen. Worauf führen Sie diesen Stimmungswandel zurück?

Ich lebe seit sieben Jahren in New York, da möchte ich mir kein Urteil über die Stimmung in der Schweizer Kulturszene anmassen. Aber wenn es so wäre, fände ich das gar nicht schlecht.

Hängt es mit Ihrem Lebenslauf zusammen, dass Sie gerade bei diesem Thema politisch aktiv wurden?

Der Krieg in Jugoslawien hat mein Leben stark verändert. Ich war damals etwa 17 Jahre alt und fühlte mich ohnmächtig. Ich begann, mir grundlegende Fragen zu stellen - welche Rolle spielt die Politik in diesem Krieg? Und wo spielen die Interessen der anderen Länder hinein? Es war aber nicht so, dass mich der Krieg zu politischen Aktivitäten veranlasst hätte. Ich setzte mich im Kleinen ein, etwa bei Hilfsprojekten für Kinder in Bosnien.

Hat der Krieg auch Ihr Selbstverständnis als Teenager in der Schweiz verändert?

Ja, mit einem Mal wurde alles so kompliziert - und man stand unter permanentem Rechtfertigungszwang. Im Gespräch mit Ex-Jugoslawen oder auch mit Schweizern versuchte ich zu vermitteln, alles zu erklären. Bis ich einsah, dass ich damit nur meine Energie vergeude. Ich habe mich dann auf die Probleme in der Familie konzentriert. Man muss sich das vorstellen: Bei uns zu Hause sassen plötzlich drei Kriegsparteien am Tisch. Obwohl wir eigentlich alle überzeugte Pazifisten sind, bezogen wir Stellung: meine Mutter für die Bosnier, mein Stiefvater für die Serben und ich für die Kroaten. Wir hatten ja im ganzen Land verteilt Familienangehörige.

Hatten Sie denn Bekannte oder Verwandte, die während des Kriegs als Asylbewerber in die Schweiz kommen wollten und keine Papiere erhielten?

Meine Familie war während des Krieges in Sarajevo und wir haben es nicht geschafft, sie dort rauszuholen. Ich hatte zwar damals schon einen Schweizer Pass, aber ich konnte kein Visum für sie beantragen, weil ich nicht genügend finanzielle Mittel nachweisen konnte. Das war mit ein Grund, weshalb dann auch meine Mutter den Schweizer Pass beantragt hat. Es wäre ihr extrem wichtig gewesen, dass ihre Verwandten wenigstens einmal für zwei Wochen Ferien hätten zu uns kommen können, als Touristen. Doch sie durften nicht. Das war sehr frustrierend.

Um Asyl hat sich niemand beworben? Das wäre doch nahe gelegen mit Verwandten in der Schweiz.

Nein, meine Familie in Sarajevo war emotional überfordert. Wir haben ihr schon geraten, zu uns zu kommen oder nach Kanada zu gehen. Aber meine Tante konnte einfach nicht mehr. Das sagen auch die Asylgesetzgegner: Die Leute können oft nicht über die Dinge sprechen, die sie erlebt haben. Unsere Verwandten waren in dieser Situation nicht mehr aktionsfähig.

Macht Ihnen das am meisten Angst? Dass Leute in einem emotionalen Ausnahmezustand möglicherweise nicht fähig sind, ihre Verfolgung glaubhaft darzulegen und sie deshalb durch die Maschen des neuen Gesetzes fallen?

Genau. Als meine Verwandten aus Sarajevo geflüchtet sind, hatten sie zwei Taschen dabei - sie dachten, sie seien bald wieder zurück. Jemand hatte ihnen gesagt: Wenn ihr weg wollt, müsst ihr in zwei Minuten vor der Haustür stehen. Meine Grossmutter, 80, meine Tante, 56, und meine Cousine, 6, rafften also das Nötigste zusammen. Sie haben den Pass mitgenommen. Aber es hätte auch anders sein können. Oder die Leute vom Land, die nicht viel gereist sind: Denken die wirklich an einen Pass? Ich glaube kaum.

Wer weiss, dass er ausser Landes flüchtet, soll nicht an den Pass denken?

Einige haben auch schlicht keinen Pass. Meiner Ansicht nach geht es um eine Geisteshaltung: Es gibt kaum Leute, die aus purer Lust ihre Heimat verlassen. Wer das tut, hat schwer wiegende Gründe. Sollen wir die Leute alle zurückschicken, weil wir glauben, keinen Platz für sie zu haben? Ich finde das falsch. Und noch viel falscher ist, zu riskieren, dass wegen strenger Gesetze echt Verfolgte kein Asyl mehr erhalten.

Soll denn einfach jeder, der zu Hause Probleme hat, als Asylbewerber in die Schweiz einreisen dürfen?

Eine schwierige Frage. Wenn ich Ja sage, klingt das naiv. Wenn ich Nein sage, so stimme ich in den Chor jener angstbesessenen Menschen ein, deren Überzeugung ich nicht teile. Ich denke, wer wirklich verfolgt wird, soll Asyl erhalten. Und wer hier redlich arbeiten will und einen Job findet, soll bleiben dürfen, auch wenn er nicht aus der EU stammt und keine hoch spezialisierte Fachkraft ist. Mit anderen Worten: Wenn wir ein strenges Asylgesetz haben - und schon das heutige ist streng -, so brauchen wir dafür ein liberaleres Ausländergesetz, damit ein Mensch in Existenznot nicht mehr seine Identität wechseln und Asyl beantragen muss.

Wenn Sie aber im Prinzip für ein strenges Asylgesetz sind, so müssen Sie auch akzeptieren, dass es negative Entscheide gibt. Ist es nicht folgerichtig, dass man Abgewiesene dann auch ausschafft?

Ich sagte lediglich, dass das Ausländergesetz moderner werden muss, wenn das Asylgesetz streng ist. Die Ausschaffung mit langen Haftstrafen zu erzwingen, finde ich schlecht. Vor allem stört mich, dass auch Minderjährige bis zu ein Jahr hinter Gitter kommen könnten. Das kann doch nicht unser Ernst sein!

Die Kantone, die mit dem Vollzug betraut sind, sagen, sie bräuchten die Zwangsmassnahmen, weil sonst viele nicht zurückreisten.

Ich bin dagegen, dass man Leute monatelang in Haft setzt, obwohl sie nichts verbrochen haben - nur weil sie nicht ausreisen wollen. Dann ist mir lieber, es bleiben ein paar illegal da.

Haben Sie kein Verständnis für die Ängste in der Bevölkerung vor Überfremdung? Immerhin hat die Schweiz eine der höchsten Ausländerquoten.

Ich habe diese Angst vor Überfremdung nicht. Wir Schweizer profitieren doch von Ausländern, kulturell und wirtschaftlich.

Und Probleme sehen Sie keine? Es gibt ja Asylbewerberheime, in denen mit Drogen gehandelt wird, Gewalt ist oft ein Thema.

Natürlich sehe ich diese Probleme. Aber ich finde, man sollte sie anders lösen. Indem man den Asylbewerbern schnell erlaubt zu arbeiten. Und klar: Wer straffällig wird, muss bestraft werden oder ins Gefängnis, so wie straffällige Schweizer auch.

Verschärfungen des Asylgesetzes liegen international im Trend. Kann man es der Schweiz verargen, wenn sie hier nachzieht?

Es gibt einen internationalen Druck. Aber diese Verschärfungsspirale bringt Europa nicht weiter, die Flüchtlinge kommen ja doch. Und deshalb hoffe ich, dass die Schweiz nicht nachzieht und versucht, ihre Nachbarstaaten an Härte noch zu übertreffen.

Etwas ketzerisch könnte man sagen, dass ein hartes Asylgesetz auch Ihnen hilft, da es die Angst der Schweizer vor Überfremdung mindert und somit ihre Aversion gegen alle Ausländer.

Das glaube ich überhaupt nicht. Die Menschen werden nicht respektvoller mit den Ausländern hier umgehen, weil das Gesetz rigider ist. Im Gegenteil, solche Verschärfungen schüren eine ausländerfeindliche Stimmung.

© Alle Rechte vorbehalten Tages-Anzeiger. Zur Verfügung gestellt von Tages-Anzeiger Archiv
Bundeszentrale für politische Bildung, 28.09.2017
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Genre
Drama, Kurzfilm
Länge
13 Min.
Originalsprache
Serbisch
Wichtige Auszeichnungen
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